Eine Ode an die Wut.

Wut ist ein Gefühl, dass mich schon mein ganzes Leben begleitet.

Sie durfte in der Familie offen ausgelebt werden, sie hat mir geholfen in Extremsituationen meinen Standpunkt klarzumachen und mich zu schützen, sie hat mir in meiner beruflichen Laufbahn geholfen, sie ist rückblickend betrachtet schon immer einer meiner größten Antriebe. Es war mir nur nicht bewusst!

Vor kurzem wurde in einem Workshop mit einem Kunden gefragt, wie ich meinen Schritt in die Selbstständigkeit gewagt habe: Die Antwort war eindeutig aber überraschend - weil ich wütend war! Ich war wütend, nicht vollkommen selbstbestimmt arbeiten zu können, wütend von anderen Personen beruflich abhängig zu sein, wütend auf zwischenmenschliche Dynamiken. Versteht mich nicht falsch, das ist in einem Angestelltenverhältnis verständlich und ich habe die Teams und Unternehmen in denen ich gearbeitet habe sehr geschätzt - aber ich wollte mich nicht mehr so fühlen und so wurde meine Wut zu einer konstruktiven Kraft, um diesen beängstigenden Schritt wagen zu können.

Wut ist eine Emotion, die uns alle begleitet - aber besonders im beruflichen Kontext verdrängt man sie oft, um „leicht verdaulich” zu bleiben, nicht hysterisch zu wirken, nicht als irrational oder unprofessionell wahrgenommen zu werden. Wut kann gegen einen verwendet werden, in Mitarbeitergesprächen, in Meetings und in übergriffigen Situationen, in denen man sich eigentlich behaupten möchte. Wer mit Wut reagiert, verliert sein Gesicht, wird nicht mehr ernst genommen, wird belächelt oder sogar ausgeschlossen. Daher unterdrücken wir sie, wir schämen uns dafür und richten sie gegen uns selbst oder auch gegen unsere Partner:innen und Familien.

Mir ist klar, dass man seiner Wut nicht einfach freien Lauf lassen kann. Dieser Artikel ist auch kein Aufruf, den KollegInnen in den Kaffee zu spucken oder die Vorgesetzten anzuschreien, aber er ist ein Aufruf, die Wut zuzulassen und konstruktiv zu kanalisieren! Es geht nicht darum, ungefiltert um sich zu schlagen, sondern das Gefühl offen anzunehmen und die eigenen Emotionen nicht zu verleugnen.

Was hat mir dabei geholfen? Ich entscheide mich hier bewusst, meine eigenen Erfahrungen zu teilen und keine psychologischen oder anderen Ansätze aus dem Internet zu sammeln weil 1. könnt ihr euch die auch selbst ergoogeln und 2. fühle ich selbst mich immer wesentlich besser abgeholt, wenn ich echte und ehrliche Erfahrungen lese.

Erst mal zur Ruhe kommen

Egal in welchem Kontext, wenn euch etwas unfassbar aufregt, steht es euch absolut frei, den Raum zu verlassen und euch die Zeit zu nehmen, die ihr braucht, um euch zu beruhigen. Für mich war das niemals eine Flucht aus der Situation, sondern es hat mir geholfen, mein Nervensystem zu regulieren und meine rasenden Gedanken zu beruhigen. Wichtig war es hier immer für mich, mein Verlassen der Situation nicht als Schwäche zu sehen (die Wut also nicht gegen mich zu richten) sondern auf meinem Recht zu beharren, mir Zeit und Raum zu nehmen, wenn ich sie brauche.

Atmen

Klingt super easy - ist es aber gar nicht! Man kennt es: Man ist wütend, der Körper verkrampft sich, der Blutdruck steigt, die Wangen werden heiß und die Stimme fängt an zu zittern. Meine Lösung: tief in den Bauch atmen! Wenn man sich sowieso dazu entscheidet, den Raum zu verlassen, kann man die Zeit alleine auch gleich dazu nutzen, tief und bewusst ein- und auszuatmen. Auch wenn man den Raum nicht verlassen will, hilft es, sich auf die Atmung zu konzentrieren und sich jeden Atemzug bewusst zu machen. Zu lernen, wie man richtig atmet, kann ich jeder Person ans Herz legen: Es ist ein Gamechanger!

Kommunikation & Grenzen setzen

Menschen und Situationen, die uns wütend machen, haben häufig gemeinsam, dass sie unsere Grenzen überschreiten. Meist geschieht dies unbeabsichtigt und unbewusst, vor allem wenn diese Grenzen nie kommuniziert wurden. Wenn ein Kollege oder eine Kollegin immer wieder auf den gleichen roten Knopf bei mir gedrückt hat, habe ich begonnen, dieser Person respektvoll aber klar Grenzen aufzuzeigen. In einem privaten Gespräch kann man seine Grenzen gut kundtun, ohne dass die andere Person in die Defensive rutscht, weil andere zuhören. Für mich sind aus diesen Gesprächen oft sehr lösende und angenehme Situationen entstanden. Denn: Das Gegenüber hat eigene Themen und auch mir war das oft nicht bewusst! Tipp: Orientiert euch an der Methode der gewaltfreien Kommunikation , um diese Dinge anzusprechen.

Sport und Gesundheit

Ich weiß, es ist eigentlich logisch - aber trotzdem zwingt uns der innere Schweinehund entgegen unseres besseren Wissens auf die Couch und in die Lieferando-App. Sport ist jedoch super, um Aggressionen abzubauen, das Nervensystem zu regulieren und um einen klaren Geist zu bekommen. Gesunde Ernährung unterstützt diesen Prozess und die Koffeinaufnahme zu reduzieren, hilft, das Nervensystem, das wir gerade mit Sport reguliert haben, nicht wieder in die Nervosität zu peitschen! Yoga ist auch ein heißer Tipp! Um realistisch zu bleiben: viele von uns und ich selbst haben oftmals Phasen in denen wir keine Zeit finden, keine Energie aufbringen können. Umso wichtiger ist es Rituale und Rhythmen zu etablieren - auch wenn es nur 5 Minuten am Tag sind - an die man sich konsequent hält.

Der Wut Raum geben

Der für mich wichtigste Punkt ist, der eigenen Wut Raum zu geben! Die oben genannten Punkte sind super, fallen einem aber erst dann leichter, wenn man bereits gelernt hat, die Wut anzunehmen und die Emotion auch wirklich zuzulassen. Hier kann ich jedes erdenkliche Outlet empfehlen, das euch hilft: Briefe schreiben, mit Freunden ranten, laut mit sich selbst sprechen, für sich selbst schreien, weinen oder einen besonders wütenden Pullover stricken. Alles ist besser, als die Wut zu verstecken oder zu unterdrücken. Wut hängt sehr oft mit verinnerlichten Mustern und Glaubenssätzen zusammen - eine Beratung oder auch eine therapeutische Begleitung können hier nötig sein um den Umgang mit dem Gefühl zu lernen.

Unterstützung von Außen

Und zu guter Letzt: Vertraut euch eurem Umfeld an! Mit Personen zu sprechen, denen ihr vertraut, kann sehr hilfreich sein. Die oben skizzierte Wut ist etwas sehr Natürliches, das sich in diesem Fall nicht negativ auf das Umfeld auswirkt. Sollte sich Wut allerdings sehr verhärtet, lähmend oder nach außen hin aggressiv zeigen, dann empfehle ich, mit Profis wie Therapeut:innen oder Coaches darüber zu sprechen. Wichtig ist, dass ihr euch bei ihnen gut aufgehoben und verstanden fühlt, um so gemeinsam an den der Wut zugrunde liegenden Themen arbeiten zu können.

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Wenn der Status Quo zum Problem wird